Ein armes Umfeld macht krank

Juli 2019 – Wie gebildet man ist, über welches Einkommen der eigene Haushalt monatlich verfügt, der Beruf, aber auch Eigentum und kulturelle Aktivitäten wie Theaterbesuche – all diese Faktoren beeinflussen, wie gesund wir sind. Zusammen mit weiteren Größen bilden sie den sogenannten sozioökonomischen Status (SES). Für Deutschland und andere westliche Länder aber auch Ost-Europa und Japan ist bekannt, dass ein geringer SES das Risiko erhöht, an Diabetes mellitus, Herz und Kreislauf oder den Nieren zu erkranken. Dr. Tanja Gammer und ihre Kollegen haben jetzt herausgefunden, dass auch der durchschnittliche SES einer Region, der sogenannte area-basesd SES, mit der Gesundheit und Sterblichkeit der Bewohner dieser Gegend zusammenhängt.

Der area-based SES (abSES) beschreibt den durchschnittlichen soziökonomischen Status einer Region. Wie er Gesundheit und auch das Sterberisiko beeinflusst, war bislang noch kaum untersucht. Angela Moissl, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Labor von Frau Dr. Grammer an der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg, hat diesen Zusammenhang nun anhand der Daten aus der LURIC-Studie (Ludwigshafen Risk and Cardiovascular Health) erforscht. Die Studie umfasst 3.316 Patienten, die sich zwischen 1997 und 2000 für eine Koronarangiographie in einem Krankenhaus aufhielten und anschließend für durchschnittlich zehn weitere Jahre beobachtet wurden.

Die Ergebnisse der Mannheimer Forscherin lassen aufhorchen, denn in einer Gegend mit einem niedrigen SES zu leben, erhöht die Mortalität signifikant und ist außerdem mit starkem Vitamin D-Mangel, Diabetes mellitus und systemischen Entzündungen assoziiert.

Da der individuelle SES der LURIC-Studienteilnehmer nicht bekannt war, verwendeten Grammer und ihr Team stattdessen den Kaufkraft-Index (Purchasing Power Index, PPI) und überprüften die Ergebnisse, indem sie ein anderes Maß des abSES benutzten, den German Index of Socioeconomic Deprivation (GISD). Ein niedriger abSES entspricht dabei einem niedrigen PPI und einem hohen GISD.

Arme rauchen, Reiche trinken

Laut den Ergebnissen der Wissenschaftler hängt der Kaufkraft-Index (PPI) nicht linear mit der Mortalität zusammen, über einem PPI von 105 nahm das Sterberisiko steil ab. Noch höhere PPI Werte reduzierten die Mortalität aber nicht mehr wesentlich. Bezüglich des GISD scheint der Zusammenhang mit der Mortalität linearer zu sein, wobei das Risiko ab einem GISD von ca. 6,75 stark ansteigt. Rauchen war bei den Studienteilnehmern am weitesten verbreitet, die in den Gegenden mit dem geringsten Quartil des PPI und dem höchsten Tertil des GISD lebten. Das Risiko an Diabetes mellitus zu erkranken, war in Gegenden mit einer geringen Kaufkraft und einem hohen GISD erhöht. Der Alkoholkonsum war hingegen mit einem hohen Einkommen assoziiert, was mit den Ergebnissen des weltweiten Statusreports der WHO zu Alkohol und Gesundheit zusammenpasst.

„Außerdem unterscheidet sich auch, wie die Menschen mit einer Erkrankung umgehen“, sagt Grammer.  So zeige eine kürzlich veröffentlichte deutsche Studie, dass Menschen mit einem niedrigen SES chronische Symptome oft zu lange ignorieren und eher zögern, diagnostische Methoden anwenden zu lassen. Und Daten aus den USA belegen, dass Menschen aus einer Nachbarschaft mit geringem SES nach einer Herzerkrankung nicht so oft an Rehabilitationsmaßnahmen teilnehmen.

Der BMI unterschied sich in der Studie von Moissl und ihren Kollegen nicht signifikant zwischen den unterschiedlichen PPI-Quartilen. Bezüglich des Essverhaltens fanden sie kleine Unterschiede bei den Blutlipiden und geringere HbA1c Werte im höchsten PPI Quartil. Zusammen mit anderen Daten aus der Gruppe mit einem hohen PPI, nämlich weniger Raucher und ein höherer Prozentsatz von Eicosapentaensäure in der Zellmembran von Erythrozyten, könnte das dafür sprechen, dass Studienteilnehmer aus Gegenden mit hoher Kaufkraft einen gesünderen Lebensstil haben.

„Die Stärke unserer Studie besteht darin, dass wir mit zwei unterschiedlichen Messgrößen des SES zu sehr ähnlichen Ergebnissen kommen, die alle belegen, dass das Leben in einer Region mit niedrigem SES die Gesundheit gefährdet und sowohl die kardiovaskuläre als auch die Gesamt-Mortalität deutlich erhöht“, so Grammer.

Originalarbeit: Area-based socioeconomic status and mortality: the Ludwigshafen Risk and Cardiovascular Health study. Moissl AP, Delgado GE, Krämer BK, März W, Kleber ME, Grammer TB.
Clin Res Cardiol.2019 May 29. DOI: 10.1007/s00392-019-01494-y.

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