Stellungnahme zu einem Schreiben der BARMER vom März an Ärztinnen und Ärzte mit Bezug zum „optimalen LDL-Spiegel“

In einem Schreiben der BARMER an Ärztinnen und Ärzte wird der Hinweis auf die Bempedoinsäure-Präparate als neue Optionen in der Lipid-Therapie in Zusammenhang gebracht mit den Ergebnissen einer von Johannesen et al. publizierten Studie (BMJ 2020; 371:m4266; https://doi.org/10.1136/bmj.m4266). In dieser dänischen Beobachtungsstudie wurden Daten der Copenhagen General Popula­tion Study ausgewertet unter der Fragestellung, welche Assoziation zwischen LDL-Cholesterin-(LDL-C-)werten und der Mortalität in der Gesamtbevölkerung besteht und bei welcher LDL-C-Konzentration das Mortalitätsrisiko am niedrigsten ist.

U. a. kommt die Studiengruppe von B. Nordestgaard zu dem Ergebnis: „The concentration of LDL-C associated with the lowest risk of all cause mortality was 3.6 mmol/L (140 mg/dL) in the overall population and in individuals not receiving lipid lowering treatment, (…).“

Diesen LDL-C-Wert von 140 mg/dl greift die BARMER in ihrem o. g. Schreiben auf und bezeichnet ihn als den „optimalen LDL-Spiegel“.

Hier handelt es sich um eine irreführende Verkürzung und Fehlinterpretation der Studie. Die Autoren betonen mehrfach: “Any increase in LDL-C, however, was associated with an increased risk of myocardial infarction and death from myocardial infarction”. Es ist seit Jahrzehnten bekannt, dass niedrige LDL-C-Spiegel bei Nicht-Behandelten(!) ein Zeichen für ein gesundheitliches Problem sind, z. B. eine Kachexie. Aus dieser bekannten epidemiologischen Assoziation lässt sich auf keinen Fall ein Therapie-Ziel oder eine Aussage zu einer LDL-C-senkenden Therapie ableiten. Dies betonen die Autoren auch ausdrücklich: “Hence it would be incorrect to use our data as an argument against the use of lipid lowering treatment in the prevention of atherosclerotic cardiovascular disease and mortality.”

Aus Sicht der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung von Fettstoffwechsel­störungen und ihren Folgeerkrankungen DGFF (Lipid-Liga) e.V. und der D.A.CH.-Gesellschaft Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen e.V. entsteht dadurch der falsche Eindruck, in der Primärprävention bei vermeintlich Gesunden seien erst ab einem LDL-C-Wert von 140 mg/dl lipidsenkende Maßnahmen angezeigt bzw. in der Sekundärprävention sei dies der anzustrebende Zielwert.

Das widerspricht den aktuellen ESC/EAS Leitlinien zur Diagnostik und Therapie der Dyslipidämien, die zur Prävention atherosklerotischer kardiovaskulärer Erkrankungen (ASCVD) die Einschätzung des individuellen kardiovaskulären Gesamtrisikos und des „Lebenszeitrisikos“ empfehlen. Diese Empfehlungen basieren auf prospektiven, randomisierten Endpunktstudien und genetischen Assoziationsstudien, die durch Ergebnisse von epidemiologischen Beobach­tungsstudien – wie o. g. Auswertung aus der Copenhagen General Population Study – nicht in Frage zu stellen sind.

Die Autoren der dänischen Studie schreiben selbst, dass ihre Ergebnisse wichtig sein könnten, um zu verstehen, welche LDL-C-Werte in der Gesamtbevölkerung als „normal und gesund“ angesehen werden können. Voraussetzung für die Interpretation ihrer Ergebnisse allerdings sei, dass der Fokus nicht auf Myocard-Infarkt und atherosklerotische kardiovaskuläre Erkrankungen gelegt wird.

Ferner zeigt sich bei bei Personen, die eine lipidsenkende Therapie erfuhren (und das sind sicher überwiegend Patienten mit einem erhöhten kardiovaskulären Risiko), dass bei Ihnen der LDL-C-Wert mit der besten Lebenserwartung bei 2,3 mmol/l (89 mg/dl) liegt und damit wesentlicher niedriger.

Entsprechend der Leitlinien gibt es nicht den LDL-C-Schwellenwert, ab dem automatisch eine bestimmte Indikation indiziert ist, weil das Risiko ein Kontinuum darstellt. Dies gilt für alle stetigen Risikofaktoren wie Cholesterin-Plasmaspiegel oder systolischer Blutdruck (SBP), weshalb die in den Leitlinien vorgeschlagenen Ziele dieses Konzept widerspiegeln. Diese Idealwerte dienen jedoch nur der Orientierung: Die praktische Entscheidungsfindung muss auf dem individuellen CV-Gesamtrisiko sowie des Lebenszeitrisikos basieren:

 

 

Die D.A.CH.-Gesellschaft für Prävention und die DGFF (Lipid-Liga) nehmen mit Verwunderung zur Kenntnis, dass Krankenkassen – wie mit o. g. Schreiben erfolgt – direkt versuchen, in die medizinische Behandlung einzugreifen.

gez.
Prof Dr. med. Oliver Weingärtner
Vorsitzender der DGFF (Lipid-Liga) e. V.

Univ.-Prof. Dr. med. Winfried März
Vorsitzender der D•A•CH-Gesellschaft Prävention von Herz-Kreislauf-Erkrankungen e. V.

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