Die Annual Scientific Sessions des American College of Cardiology (ACC) haben dieses Jahr im April in Atlanta/USA stattgefunden. Dort wurden auch spannende Neuigkeiten aus der Lipidtherapie vorgestellt.
- Trials neuer Substanzen zur Therapie schwerer Hypertriglyceridämie
- Weitere Daten zur PCSK9 – Hemmung, Lerodalcibep im LIBerate-HR Trial
- Technologiegestützte Webanwendung für den Zugang von Verbrauchern zu einem nicht verschreibungspflichtigen Statin
1. Trials neuer Substanzen zur Therapie schwerer Hypertriglyceridämie
Die bislang effektivsten Substanzen zur Behandlung massiver Hypertriglyceridämien (> 800 mg/dl > 10 mmol/L) basieren auf einer Aktivierung lipolytischer Enzyme durch Senkung von Apoprotein-C3. Trials zu Wirkungen und Verträglichkeit von zwei neuen Substanzen, Olezarsen und Plozasiran, zeigen substanzielle Senkungen der Triglyceride im Plasma.
Olezarsen ist ein ApoC3 Antisense Ologonukleotid der dritten Generation. In der randomisierten Placebo-kontrollierten Phase 3 b BALANCE-Studie von 66 Patienten mit Familiärem Chylomikronämie Syndrom und mittleren Ausgangs-Triglycerid Werten von 2630 mg/dl wurde mit 80 mg Olezarsen s.c. vierwöchentlich über 53 Wochen eine 43,5%ige Triglycerid Senkung erreicht. Gleichzeitig trat im Therapie Arm nur eine Pankreatitis-Episode gegenüber 11 Fällen in der Placebogruppe auf (1). In einer weiteren randomisierten Placebo-kontrollierten Phase 2 b Studie mit Olezarsen, dem Bridge-TIMI 73 a Trial, wurde der Triglycerid senkende Effekt bei 154 Patienten mit moderater Hypertriglyceridämie (> 400 mg/dl) und hohem kardiovaskulären Risiko geprüft. Gegenüber Placebo lag die mittlere Triglycerid Senkung unter 50 mg Olezarsen s.c. vierwöchentlich bei 49,3% und bei 53, 1% unter 80 mg (2). In beiden Olezarsen Studien wurden keine gravierenden unerwünschten Wirkungen berichtet.
Plozasiran senkt ApoC3 mittels small interfering RNA (aiRNA) Technologie. Im randomisierten doppleblinden Placebo kontrollierten Phase 2 b SHASTA-2 Trial bei 229 Patienten mit schwerer Hypertriglyceridämie (500 bis 4000 mg/dl) wurden nach s.c. Applikation von Plozasiran an Tag 1, Woche 12 und Woche 48 Dosis – Wirkungsabhängig eine bis 57%ige Triglycerid Senkung erreicht. Das Sicherheitsprofil wird als generell günstig wiedergegeben (3).
Kommentar:
Die Outcome-Evidenz zur Wirksamkeit von Therapien, die in erster Linie Triglycerid-wirksam sind, ist bislang sehr begrenzt. Bislang steht erst Volanesorsen zur Verfügung, ein Antisense Oligonukleotid der zweiten Generation, das für die Therapie des Familiären Chylomikronämie-Syndroms zugelassen ist. Für das Kriterium der Wirksamkeit liegt jetzt eine unter Correspondence im NEJM publizierte Metaanalyse zur Prävention von Pankreatitis vor (4). Es bleibt abzuwarten, ob die stärkere Triglycerid Senkung mit Olezarsen zu einer Verminderung des kardiovaskulären Risikos führt. Auch neue Fibrat-Studien waren bezüglich des kardiovaskulären Endpunkts negativ. Die positive kardiovaskuläre Outcome-Evidenz für Icosa Pentethyl in der REDUCE-IT-Studie geht zwar mit einer Triglyceridsenkung einher wird aber nicht als entscheidender Mechanismus angesehen.
2. Weitere Daten zur PCSK9 – Hemmung, Lerodalcibep im LIBerate-HR Trial
Lerodalcibep ist ein PCSK9-Hemmer mit einem neuen Wirkungsmechanismus. Adnectin, ein Anti-PCSK9-Zielbindungsprotein, und humanes Serumalbumin hemmen die Bindung von PCSK9 an LDL-Cholesterin. Im Unterschied zu den derzeit verfügbaren monoklonalen Antikörpern ist das Molekül kleiner und gut löslich ist, sodass für die monatliche Anwendung ein wesentlich geringeres Injektionsvolumen (1,2 ml subkutan) erforderlich ist.
Im LIBerate-HR Trial an 922 Patienten mit hohem kardiovaskulären Risiko wurde mit 300 mg Lerodalcibep s.c. monatlich über 52 Wochen eine 56.3% LDL-C Senkung gegenüber -0,14% m Plazeboarm nachgewiesen ( p < 0.001) (5). Die Therapie war gut verträglich.
Kommentar:
Neben dem Anwendungsvorteil eines kleineren Injektionsvolumens, 1,2 ml, kommt auch der einer Stabilität bei Raumtemperatur in Frage. Wie für alle LDL-C-wirksamen Substanzen bleibt das Ergebnis kardiovaskulärer Outcome Trials abzuwarten.
3. App gestützte Webanwendung für den Zugang von Verbrauchern zu einem nicht verschreibungspflichtigen Statin
Vor dem Hintergrund der Nichtbehandlung vieler für eine Statintherapie in Frage kommender Personen wurde in einer prospektiven 6-monatigen Studie geprüft, inwieweit die Einschätzungen von Ärzten und von Teilnehmern ohne medizinischen Hintergrund hinsichtlich der Eignung für eine rezeptfreie Statin Selbstmedikation übereinstimmen (6). Den Laien stand für die Einschätzung der Eignung eine App gestützte Webanwendung zur Verfügung. Ebenso wurden die Auswirkungen auf den LDL-C-Spiegel geprüft.
Die Teilnehmer gaben demografische Informationen, Cholesterinwerte, Blutdruck und begleitende Medikamente in die Web-App ein, woraus sich 3 mögliche Ergebnisse für die Statin-Medikation ergaben: „nicht verwenden“, „einen Arzt fragen“ und „OK zur Verwendung“. Die Studie umfasste 1.196 Teilnehmer mit einem Durchschnittsalter von 63 Jahren. Der mittlere LDL-C-Wert lag bei 139,6 ± 28,3 mg/dL, und das berechnete 10-Jahres-Risiko für atherosklerotische Herz-Kreislauf-Erkrankungen betrug im Median 10,1 % (Q1-Q3: 7,3 %-14,0 %). Die Web-App-Selbstauswahl führte bei 90,7 % (95 % CI: 88,9-92,3 %) der Teilnehmer zu einem mit der Beurteilung des Arztes übereinstimmendem Ergebnis, und 98,1 % (95 % CI: 97,1-98,8 %) hatten ein übereinstimmendes Behandlungsergebnis. Die mittlere prozentuale Veränderung des LDL-C-Wertes betrug -35,5 % (95 % KI: -36,6 % bis -34,3 %). Schwerwiegende unerwünschte Ereignisse traten bei 27 (2,3 %) Teilnehmern auf, von denen keines mit dem Studienmedikament zusammenhing.
Es wird gefolgert, dass eine App – unterstützte Webanwendung bei >90 % der Teilnehmer eine korrekte Selbstselektion für die Einnahme von Statinen und eine klinisch bedeutsame Senkung des LDL-C. ermöglicht.
Kommentar:
Der Perspektive, mit rezeptfrei erhältlichen Statinen, mehr kardiovaskulären Risikopatienten die Chancen der Prävention zu ermöglichen, stehen Risiken einer unsachgemäßen Anwendung gegenüber. Das Ergebnis der TACTiC Studie ist ein mögliches Argument für eine Aufhebung der Rezeptpflichtigkeit für Statine in niedrigerer Dosierung. Allerdings war die Indikation für die Selbstmedikation an eine Web-App gebunden.
Informationen zur Einschätzung der Indikation für eine Statin Behandlung können auch bei uns über das Internet abgerufen werden. Hierzu gehört die Seite des Ärztlichen Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ) und der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) mit dem Titel An sich bin ich gesund – Brauche ich trotzdem ein Statin, um die Blutfette zu senken? Über die Plattform „Patienten-Navi online“ können Patientinnen und Patienten ihren Gesundheitszustand auf der Website www.116117.de der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin digital medizinisch selbst einschätzen.
Rezeptfreier Erhalt von Simvastatin ist im übrigen Großbritannien seit 2004 möglich. Bevor der Patient das Medikament kaufen darf muss er in der Apotheke einen Fragebogen ausfüllen. Empfohlen wurde auch ein Cholesterintest (7).
Literaturangaben:
1. Stroes ESG, Alexander VJ, Karwatowska-Prokopczuk E, Hegele RA et al.. Olezarsen, Acute Pancreatitis, and Familial Chylomicronemia Syndrome. N Engl J Med. 2024
2. Bergmark BA, Marston NA, Prohaska TA, Alexander VJ et al Olezarsen for Hypertriglyceridemia in Patients at High Cardiovascular Risk. N Engl J Med. 2024
3. Gaudet D, Pall D, Watts GF, Nicholls SJ,et al Plozasiran (ARO-APOC3) for Severe Hypertriglyceridemia: The SHASTA-2 Randomized Clinical Trial. JAMA Cardiol. 2024
4. Alexander VJ, Karwatowska-Prokopczuk E, Prohaska TA, Li L, Geary RS, Gouni-Berthold I et al., Volanesorsen to Prevent Acute Pancreatitis in Hypertriglyceridemia. N Engl J Med. 2024
5. Bavry AA. Efficacy and Safety of Lerodalcibep in Patients at Very High and High Risk for Cardiovascular Disease – LIBerate-HR, Präsentation beim ACC 2024
6. Nissen SE, Hutchinson HG, Wolski K, Watson K et al., A Technology-Assisted Web Application for Consumer Access to a Nonprescription Statin Medication (TACTiC) . J Am Coll Cardiol. 2024
7. Deutsches Ärzteblatt jg. 101 Heft 22 28. Mai 2004